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Dokumentation

„Wir brauchen Formen eines geistlichen Lebens im Alltag“

Statement von Generalvikar Thomas Keßler beim Diözesanforum am Samstag, 21. September 2019, in Eisingen

Lieber Bischof Franz, lieber Herr Gutmann, liebe Mitglieder der diözesanen Gremien und Räte,

zunächst noch einmal ein herzliches Dankeschön an Sie, Herr Gutmann, für die Präsentation der Studienergebnisse und ihre ersten Schlussfolgerungen. Wir werden eine Weile brauchen, bis wir uns mit der nötigen Gründlichkeit damit auseinandergesetzt haben. Das kann und soll im Rahmen unseres Projekts „Gemeinsam Kirche sein – Pastoral der Zukunft“ geschehen, das ab dem Jahreswechsel durchstartet. Ich danke sehr herzlich Frau Pastoralreferentin Monika Albert, die künftig als Programmleiterin in meinem Auftrag für dieses Projekt maßgeblich verantwortlich sein wird. Nähere Informationen dazu, wie das Projekt weitergeführt wird und wie welches der Gremien, denen Sie angehören, eingebunden ist, werden wir in den nächsten Monaten noch geben. Unser Bischof möchte bis in einem Jahr die pastoralen Strukturen für unser Bistum festschreiben. Danach wird in diesen pastoralen Strukturen zu klären sein, welche Schwerpunkte in der Seelsorge und im Gemeindeleben gesetzt werden. Auch hier werden neben eigenen Erfahrungen in Seelsorge und Gemeindeleben und unseren eigenen Beobachtungen zu den Veränderungen in unserer Gesellschaft auch die heute präsentierten Studienergebnisse einfließen.

Vielleicht würden sich manche wünschen, dass Bischof und Generalvikar heute so etwas wie den Entwurf eines Masterplans für die Diözese für die nächsten Jahre vorlegen. Bischof Franz und ich können und wollen aber die Diskussion in den künftigen pastoralen Strukturen nicht vorwegnehmen. Was wichtig und weniger wichtig ist, wird zu guten Teilen nur vor Ort gesehen und entschieden werden können. Sicher wird es darüber hinaus auch Schwerpunktsetzungen für die ganze Diözese geben müssen. Die ersten Überlegungen dazu sind angestellt. Aber noch ist in keinem Gremium intensiv darüber diskutiert worden. Für heute möchte ich mich daher auf einige wenige Punkte beschränken.

  1. Gegen die Entfremdung von Gott hilft nur die Begegnung von Mensch zu Mensch.

Nicht erst durch die Studie ist eines deutlich geworden: Für einen Kirchenaustritt mögen Schlagzeilen über den Missbrauchsskandal, über Finanzskandale oder über problematische Machtstrukturen der unmittelbare Anlass sein. Sie sind aber oft nicht der tieferliegende Grund. Der eigentliche Grund ist meistens eine Entfremdung, die sich über Jahre hinweg schleichend hingezogen hat. Und diese Entfremdung ist nicht zu aller erst eine Entfremdung von der Kirche. Es ist eine Entfremdung vom Glauben. Für viele Frauen und Männer, die aus der Kirche austreten, spielt Gott in ihrem Alltag keine Rolle. Sie vermissen auch die Gemeinschaft der Glaubenden nicht. Es gibt meiner Meinung nach einen guten Weg, um bei diesen Mitmenschen wieder die Sehnsucht nach Gott zu wecken: Sie sollten Menschen begegnen können, die Lebensfreude ausstrahlen, weil sie an Gott glauben. Sie sollten Menschen treffen, die sie in die Gemeinschaft der Glaubenden einladen. Es geht also um das persönliche Zeugnis in Tat und Wort. Das ist eine Aufgabe, die nicht allein von den Seelsorgerinnen und Seelsorgern geleistet werden kann. Hier sind alle Getauften und Gefirmten gefragt. Viele auch sehr engagierte Christinnen und Christen tun sich mit diesem persönlichen Zeugnis aber sehr schwer. Tatsächlich sind wir es kaum noch gewohnt, über unseren ganz persönlichen Glauben zu sprechen. Es fällt nicht leicht, andere in unsere Gottesdienste oder zu unseren Veranstaltungen persönlich einzuladen. Wir werden das auch nur können, wenn wir selbst im Glauben verankerte Menschen sind. Wir brauchen deshalb Formen des Gebets und der Meditation, die in unseren Alltag passen. Unser eigenes Leben wird erfüllter, wenn es Tag für Tag in der Beziehung zu Gott gestaltet wird. Nur dann können wir auch andere dazu einladen und ihnen von einem Leben mit Gott mitten in einer säkularisierten Welt erzählen. Das wäre also für mich der erste Punkt: Wir brauchen Formen eines geistlichen Lebens im Alltag, die praktikabel sind. Der verstorbene aus der Oberpfalz stammende Bischof Oswald Hirmer, der das Bibel Teilen entwickelte, hat es so ausgedrückt: „Wir Christen, Frauen und Männer, sind miteinander Säleute des Evangeliums“. Die Seelsorgerinnen und Seelsorger sind Unterstützer und selbstverständlich auch die dafür zuständigen diözesanen Stellen. Aber die eigentlichen Missionarinnen und Missionare sind alle Getauften und Gefirmten. Und sie sind es auch, die am wirkungsvollsten in unsere Gemeinden einladen können, ganz egal wer dort gerade Seelsorger oder Seelsorgerin ist.

  1. Wir müssen uns in die Welt der „digital natives“ hineinwagen

Der Prozess der Entfremdung von Gott, Glauben und Kirche findet bei den allermeisten, die aus der Kirche austreten, in einem ganz bestimmten Lebensabschnitt statt: In der Jugend und den ersten Jahren des Erwachsenenalters. Das hat natürlich auch entwicklungspsychologische Gründe. In dieser Zeit lösen sich die Kinder aus dem Elternhaus. Sie entwickeln ihren eigenen Wertekanon. Sie legen zumindest einmal für die nächsten Jahrzehnte ihre eigenen Lebensziele fest. Sie suchen sich ihren eigenen Freundeskreis. In dieser Zeit wird mit der eigenen Kindheit und der Prägung durch die Eltern oft auch der Kinderglaube abgestreift. Das muss ja auch passieren. Es tritt aber bei vielen keine eigene, neue, dem Jugend- und Erwachsenenalter angemessene Gottesbeziehung an seine Stelle.

Die Soziologen zeigen uns auf, dass die Generation der heute 20 bis 30jährigen deutlich anders tickt als die ihrer Eltern. Sie legt deutlich mehr Wert auf Selbstbestimmung, sie sucht Erlebnisse, sie verlangt mehr Zeit für sich. Wenn sie sich engagiert, dann möglichst ohne sich auf Dauer festzulegen. Und sie bewegt sich mühelos in interaktiven digitalen Welten. Sie hat selbst E-Mail und den klassischen Internetauftritt schon hinter sich gelassen. Sie chattet, postet, followed, sie ist überall dort dabei, wo es ständig etwas neues gibt und wo sie selbst auch antworten, fragen, Rückmeldungen geben kann.

Und wir? Nach der Firmung unternehmen wir in aller Regel in den Gemeinden keinen Versuch mehr, ganze Jahrgänge von Getauften auf einmal anzusprechen. Im Grunde überlassen wir sie ausgerechnet in dieser so wichtigen Phase, in der ihre Gottesbeziehung erwachsen werden müsste, sich selbst. Wie können wir sie begleiten?

Natürlich haben wir durchaus Angebote für diese Altersgruppe. Es gibt die Jugendverbände, es gibt offene Jugendtreffs, es gibt die Ministranten, es gibt die Jugendgruppen der geistlichen Gemeinschaften, es gibt Besinnungstage, Tage der Orientierung und so weiter. Dahinter steht jede Menge Engagement. Und ich weiß, wie sehr alle Verantwortlichen sich darum mühen, diese Formen der Jugendarbeit und der Begleitung junger Erwachsener weiter zu entwickeln. Ich glaube, hier dürfen wir als Diözese auch nicht sparen.

Außerdem haben wir natürlich den Religionsunterricht in der Schule. Aber hier müssen wir eine Grenze beachten: Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach. Eine persönliche Begleitung auf dem eigenen Glaubensweg kann er nicht leisten. Die Möglichkeit, den Jugendlichen in der Schule zu begegnen, sollten wir natürlich trotzdem nutzen. Wir haben bereits das Angebot der Schulpastoral. Wir müssen versuchen, diese Seelsorge in der Schule vor allem in den weiterführenden Schulen auszubauen. Außerdem brauchen wir Religionslehrerinnen und Religionslehrer, die auch dann ein überzeugendes Lebenszeugnis geben, wenn sie im regulären Unterricht im Klassenzimmer stehen.

Aber trotz aller Mühe werden wir längst nicht alle Jugendlichen erreichen und erst recht nicht die jungen Erwachsenen, die ins Studium oder ins Berufsleben eingestiegen sind. Wir werden sie wohl verstärkt dort finden können, wo sie viel Zeit verbringen: In den digitalen Welten. Wir müssen uns also noch weiter hineinwagen in die Welt der social media. Das darf nicht nur denjenigen Seelsorgerinnen und Seelsorgern überlassen bleiben, die ein besonderes Faible dafür haben und Freizeit dafür zu opfern bereit sind. Sich in den social media zu bewegen, wird in Zukunft auch zur Arbeit eines Seelsorgeteams gehören. Die Diözese kann helfen, indem sie die nötigen Plattformen bereitstellt und Wege durch den Dschungel des Datenschutzes bahnt. Und wir werden in der Diözese auch ein paar Spezialisten brauchen, die uns in die digitalen Welten hinausführen. Wir werden lernen müssen, dort vom Glauben zu sprechen, Zeugnis zu geben, Fragen zu beantworten zu Gott und der Welt.

Und zum zweiten werden wir zu überlegen haben, wie wir dem Lebensrythmus dieser Generation und ihrem ästhetischen Empfinden gerecht werden. Diese Generation ist am Samstagabend mit dem Freundeskreis unterwegs und schläft am Sonntag aus. Sie hört Musik, die mit unserer gängigen Kirchenmusik so gut wie nichts zu tun hat. Sie ist aus dem Fernsehen, von Bühnenshows und selbst aus den Sportstadien perfekte Inszenierungen gewohnt. Einmal zugespitzt formuliert: Mit einem Gottesdienst am Sonntag um 10 Uhr mit leidlich gutem Orgelspiel und zu drei viertel leeren Kirchenbänken kann sie einfach nichts anfangen. Also sollten wir über Gottesdienste zu anderen Zeiten nachdenken und mit einer völlig anderen Gestaltung. Gottesdienste, in denen wiederum das Glaubenszeugnis von Christinnen und Christen einen großen Raum einnimmt. Ich glaube, für die Entwicklung solcher Gottesdienstformen werden wir in den Gemeinden, aber auch seitens der Diözese einige neue Ideeen brauchen und den Mut zum Experiment.

  1. Wir sollten uns als Kirche mit den Menschen verstehen

Im Logo unserer Diözese heißt es: Bistum Würzburg - Kirche für die Menschen. Für die Menschen. Das klingt im ersten Moment gut. Aber es steckt eine Gefahr darin. Es besteht die Gefahr, dass wir von vorneherein ein Gefälle aufbauen zu den anderen: Wir wissen, was richtig ist und machen es für euch. Selbst wenn es so nicht gemeint ist, nehmen wir damit Macht in Anspruch. Gerade die Generation der jetzt 20 bis 30jährigen reagiert darauf sehr allergisch. Sie ist durch die demokratischen Systeme unserer Gesellschaft geprägt. Sie will selbst für ihr eigenes Leben entscheiden und in einer Gemeinschaft ein Mitspracherecht auf Augenhöhe haben. Gleiche Rechte für Frauen, die Vergabe von Leitungsämtern per Wahl, die Kontrolle von Führungskräften durch Parlamente oder Aufsichtsräte und Aktionärsversammlungen sind für sie selbstverständlich.

Damit sind die internen Strukturen unserer Kirche angefragt. In Deutschland stellt sich die katholische Kirche diesen Anfragen im Rahmen des synodalen Weges. Wir erleben momentan, wie darum gerungen wird. Aber wir können auch selbst und vor Ort etwas tun.

Ohne Menschen, die für etwas die Verantwortung übernehmen, geht es nicht. Diesen Menschen muss es dann auch möglich sein, einmal etwas zu entscheiden. Die Frage ist aber, wie sie zu ihren Entscheidungen kommen. Hören sie vorher zu? Suchen sie zuerst einmal den Kontakt auf Augenhöhe? Begründen sie ihre Entscheidungen? Wollen sie bis ins letzte Detail alles bestimmen, oder geben sie Freiraum zur Eigenverantwortung? Diese Fragen müssen sich unsere Pfarrer stellen, aber genauso alle anderen hauptberuflichen Seelsorgerinnen und Seelsorger und auch Ehrenamtliche in verantwortlichen Positionen. Wir haben es zu guten Teilen selbst in der Hand, ob vor Ort die Menschen unsere Kirche als Machtapparat oder als Kirche mit den Menschen erleben.

Zum Schluss: Wachsen im Schrumpfen

Eines der Ergebnisse der Studie lautet auch: Wir werden als Diözese ab sofort jedes Jahr mit weniger Geld auskommen müssen. Weniger Geld heißt zum Beispiel auch weniger Personal und ein kritischer Blick auf unsere Immobilien. Abgesehen davon sinkt in den Gemeinden auch die Zahl jener, die sich ehrenamtlich engagieren können. Wann immer wir also neue Schwerpunkte setzen, müssen wir zugleich auch festlegen, was wir in Zukunft nicht mehr weiterführen. Das muss sich jede Gemeinde fragen, jede pastorale Struktur und auch die Diözese insgesamt. Papst Franziskus hat uns dazu ein Kriterium gegeben: Alles, was nicht einer missionarischen Kirche dient, sollte man lassen. Dieses Kriterium wird uns allen in den nächsten Jahren noch manche schmerzliche Entscheidung abverlangen.

Selbstverständlich steht die Diözese damit auch vor der Herausforderung, ihre Verwaltung zuvereinfachen. Hier wird das Kriterium sein müssen, was den Gemeinden und den Gläubigen tatsächlich dient. Dabei können wir uns aber dem staatlichen Recht nicht entziehen. Leider wird dieses staatliche Recht gerade beim Mindestlohn, bei der Umsatzsteuer, beim Datenschutz oder auch bei der Arbeitssicherheit immer komplizierter. Mit der Neuorganisation des Bischöflichen Ordinariats in sechs Hauptabteilungen haben wir begonnen, die Verwaltung als Dienstleister der Gemeinden neu aufzustellen und zugleich dafür zu sorgen, dass wir einer Überprüfung durch staatliche Institutionen jederzeit standhalten. Diesen Weg werden wir konsequent weiter gehen müssen.

Bleibt also am Ende nur Schrumpfen? Weil wir uns am Ende doch nicht wirklich gegen die Säkularisierung unserer Gesellschaft stemmen können? Weil uns das Geld ausgeht, weil uns das Personal ausgeht, weil uns die Engagierten und die Gläubigen ausgehen?

Ausgehend von der Studie habe ich versucht, ein paar Punkte aufzuzeigen, wo vielleicht in allemSchrumpfen doch auch ein Wachsen möglich ist. Unser Bischof hat bereits mehrfach den Bogen noch weiter gespannt, wenn er von Kontemplation, neuen Formen der Glaubensverkündigung und vom Dienst am Nächsten als den Herausforderungen für die nächste Zeit spricht. Als Christinnen und Christen dürfen wir darauf vertrauen, dass es letztlich Gott ist, der sein Reich auf Erden bereits begonnen hat und einmal vollenden wird. Deshalb bitte ich darum, dass wir gemeinsam um die Wege in die Zukunft ringen und dann an die Arbeit gehen: Jeder und jede von uns mit dem, was ihm und ihr möglich ist. Es geht dabei nicht in erster Linie darum, dass bei uns die Kasse stimmt, sondern dass unsere Freude am Evangelium in unserer Gesellschaft einladend wirkt. Halten wir uns fest am Wort Jesu: „Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben“ (Mt 6,33).