Der Karfreitag hat seine eigene Wertigkeit, die sich in einer gemischten Stimmungslage zeigt. Es ist nicht nur das Zurückerinnern an Jesu Leiden und Sterben. Es ist nicht nur die feierlich festliche Stimmung, die eine künstlerisch wertvolle Johannespassion zu Gehör bringt. Es ist das eigene Herz, das unmittelbar angesprochen und einbezogen wird: Er wurde für mich gekreuzigt! Das eigentliche Drama der Kreuzigung liegt deshalb nicht fast 2000 Jahre zurück, sondern ich, der ich jetzt lebe, bin involviert.
Heute wird keine Eucharistiefeier zelebriert, sondern eine Gedächtnisfeier vom Leiden und Sterben Christi abgehalten. Unsere heutige Liturgie schlägt einen Bogen über mehrere Jahrtausende:
In der ersten Lesung aus dem Buch Jesaja ist von einem Gottesknecht die Rede, der „ein Mann voller Schmerzen war, mit Krankheit vertraut“ (Jes 52,3). Er wurde von den Menschen gemieden, ja verachtet. „Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten – und ich füge eigenwillig hinzu: hochnäsig – er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt. Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt“ (Jes 52,4 u. 5) Diese aufrüttelnden Texte wurden in ihrer Fülle und Tiefe erst richtig verstanden, als Christus all das hier Angesprochene erfüllt hatte. Er, der Gerechte, lässt sich zum Mann der Schmerzen für uns Sünder machen.
In der zweiten Lesung aus dem Hebräerbrief werden wir aufgefordert, zu ihm, dem erhabenen Hohenpriester, der die Himmel durchschritten hat, zu gehen und ihn als Jesus, den Sohn Gottes zu bekennen. (Vgl. Hebr 4,14). Weiter heißt es: „Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden.“ (Hebr. 5,8 u. 9). Obwohl hier Jesu Mission schon aus dem Blickwinkel des Auferstandenen her gesehen wird, bleibt das Unerträgliche seiner Hinrichtungsart, bleibt die Frage nach dem Warum?.
Der Skandal der Kreuzigung forderte nicht nur den Glauben der Zeitzeugen heraus, sondern auch unseren! Wie kann Gott es zulassen, dass sein eigener Sohn wie ein Verbrecher unter unendlichen Qualen stirbt? Hätte er nicht auch einen anderen Weg finden können?
Unser Heiliger Vater Papst Benedikt XVI hat eine solche Frage beim Kreuzweg am Kolosseum in Rom im Jahre 2006 formuliert:
„Warum, o Herr? – Aus Liebe! (Joh 13,1)
Warum die Passion? – Aus Liebe!
Warum das Kreuz? – Aus Liebe!
Warum, o Herr, bist Du nicht vom Kreuz herabgestiegen und hast auf unsere Provokationen reagiert?
Ich bin nicht vom Kreuz herabgestiegen, weil ich sonst die Gewalt anerkannt hätte als Herrin der Welt, während die Liebe die einzige Gewalt ist, die die Welt verändern kann.
Warum, o Herr, dieser erdrückend hohe Preis?
Um euch zu sagen, dass Gott Liebe ist (1 Joh 4,8.16), unendliche Liebe, allmächtige Liebe. Werdet ihr mir glauben?“
In der größten Not, die Jesus erlitten hat, in seiner schrecklichsten Erniedrigung, im denkbar grausamsten Schmerz zeigt sich die unendliche Liebe Gottes zu uns! Durch seinen aufgeopferten Tod kommt zu uns das Leben. Cyrill von Jerusalem sagte schon: „Gott breitet am Kreuz seine Hände aus, um die äußersten Enden des Universums zu umarmen. So wurde der Berg Golgotha zum Angelpunkt der Welt.“ Hier können wir nur noch schweigen und anbeten.
Amen.