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Erste Mosaiksteinchen eines Bildes

Digitale Auftaktveranstaltung zum Thema „Sozialraumorientierung“ mit rund 170 Personen aus dem ganzen Bistum

Würzburg (POW) Bischof Dr. Franz Jung hat die Vision einer „pastoralen Caritas und einer caritativen Pastoral“ im Bistum Würzburg. Wie diese Vision mit der Bezeichnung „Sozialraumorientierung“ aussehen kann, beleuchtete eine Onlineveranstaltung am Mittwochabend, 12. Mai, an der rund 170 haupt- und ehrenamtlich Engagierte aus der ganzen Diözese teilnahmen.

Wie Bischof Jung zu Beginn erklärte, sei das große Interesse sehr erfreulich. Aktuell würden im Bistum Pastorale Räume gebildet. Er selbst habe schon bei seiner Bischofsweihe darauf hingewiesen, dass es dabei um Auferstehung gehe, nicht um eine Wiederbelebung des Alten, bei der alles wie bisher, nur in größer fortgeführt werde. Entscheidend sei es, dass die Neuaufstellung dazu beitrage, Kirche mit den Menschen zu sein. Von seinen Besuchen vor Ort wisse er, dass die Caritas Augenöffner für viele Projekte sei, aber bislang oft ungenügend Kontakt zu den Pastoralteams bestehe.

Dass Caritas schon jetzt Pastoral sei, erklärte Professor Dr. Michael Schüßler, Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Theologie an der Universität Tübingen, in seinem Vortrag zum Thema Sozialraumorientierung. Schon 2013 habe der spätere Papst Franziskus darauf hingewiesen, dass in der Offenbarung Jesus davon spreche, er stehe vor der Tür und klopfe an: „Ich denke jetzt an jene Momente, in denen Jesus von innen klopft, damit wir ihn hinausgehen lassen. Die selbstreferenzielle Kirche will Jesus in ihren eigenen Reihen festhalten und nicht hinausgehen lassen.“

Der Bochumer Pastoraltheologe Professor Dr. Matthias Sellmann greife diese Idee des Papstes auf und plädiere „für eine Kirche, die Platz macht“. Diese sei nicht als erstes dem selbstgeschaffenen religiösen Raum verpflichtet, sondern dem öffentlichen, gemeinsamen, säkularen Raum. „Sie macht Platz für das Gemeinwohl. Sie macht Platz für die Talente, für Wachstum, für Potenzialentfaltung. Sie macht Platz für Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Sie macht Platz für den je eigenen Reim auf das Leben“, zitierte Schüßler seinen Kollegen. Ganz ähnlich definiere Papst Franziskus das Prinzip des Evangeliums, wenn er in „Evangelii Gaudium“ schreibt: „Das Evangelium lädt dazu ein, dem Gott zu antworten, der uns liebt und rettet, indem man ihn in den Anderen erkennt und aus sich selbst herausgeht, um das Wohl aller zu suchen.“

Fünf Prinzipien seien bei der Sozialraumorientierung zentral: das Orientieren am Willen der Betroffenen, das Fördern von Eigeninitiative als Gegenstück zu einer „erlernten Hilflosigkeit“, das Nutzen der Ressourcen der Menschen und des Sozialraums, eine zielgruppenübergreifende Sichtweise sowie Kooperationen im Netzwerk, um so „Versäulungen“ aufzulösen. In diesen Punkten sei die Herangehensweise von Sozialer Arbeit wie von Pastoraler Theologie sehr ähnlich. Das wird nach den Worten Schüßlers schon heute dadurch deutlich, dass Menschen beispielsweise an Caritasorten nach Sakramenten oder Sakramentalien fragten, Kirchengemeinden Fachleute aus der Sozialarbeit für die Quartierspastoral einstellten oder große Sozialunternehmen der Caritas eigenverantwortlich Theologinnen und Theologen für die Seelsorge beschäftigten.

Schüßler verwies auf die Soziologin Maren Lehmann, die davon spreche, dass der Fehler vieler Reformversuche der „Organisation Kirche“ darin liege, dass diese zu sehr nach Ordnung und Regelung suchten. Es käme jedoch darauf an, nach „brauchbarer Unordnung“ oder „brauchbarer Illegalität“ zu suchen. „Denn nur in den flüchtigen Begegnungen kann die Anerkennung gefunden werden, nach der die Kirche dringend sucht.“ Das kann laut Schüßler gelingen, wo das Evangelium ohne Missionsdruck freigegeben werde und Anderen Leben gegeben werde. Das bedeute unter anderem auch, kirchliche Sozialformen freizugeben und die Vielfalt von Orten und Gelegenheiten willkommen zu heißen.

Wie das in der Praxis erfolgreich funktioniert, zeigte der Tübinger Theologe anhand zweier Beispiele auf: In Bamberg ist beim Projekt „Kirchenbank auf der Schillerwiese“ ein ökumenisches Team von Seelsorgern jeden Tag ein paar Stunden präsent und hört, was die Menschen zu sagen haben, ganz ohne eine „Bescheidwisser-Mentalität“. Und in Stuttgart-Sankt Maria habe sich das Gotteshaus für Ideen geöffnet, was der Kirchenraum jenseits der sakralen Nutzung sonst noch alles sein könnte. 

Praxisbeispiele für Sozialraumorientierung aus dem Bistum Würzburg lieferten direkt nach dem Vortrag im Gespräch mit dem Bischof und Schüßler Pastoralreferentin Marion Egenberger und Dr. Verena Delle Donne vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Egenberger berichtete davon, wie in Kleinostheim (Landkreis Aschaffenburg) durch Kooperation von Vereinsring, politischer Gemeinde, evangelischer und katholischer Kirche das Projekt „Unbezahlbar“ entstanden ist. Es ermögliche heute vielfältige Hilfsangebote „von Mensch zu Mensch“. „Wo Kirche sich einfügt, fügt sich ganz viel. Da hat der Heilige Geist eine größere Landebahn“, sagte Egenberger. Im Würzburger Stadtteil Zellerau, wo der SkF unter anderem aktiv ist, sei es Schwester Marianne Klingspor zu verdanken, die vor Jahrzehnten von Haus zu Haus gegangen sei und mit den Menschen über deren Kinder geredet habe, dass es dort heute eine erfolgreiche Quartiersarbeit gebe, erklärte Delle Donne. „Was in der Zellerau passiert, ist Pastoral. Da ist alles da, was in der Bibel gefordert wird“, sagte Schüßler. Er erklärte zudem, dass die kirchliche Vollversorgung exakt das Gegenteil von Sozialraumorientierung sei. Bischof Jung erklärte, er wolle nicht die Tradition über Bord werfen, es sei zugleich aber eine Provokation, eingefahrene Wege zu verlassen.

In Workshops zu Themen wie „Ich sehe was, was Du noch nicht siehst“, „Kita als Pastoraler Ort“ oder „Sozialraumorientierte Stadtteilarbeit – wie gelingt das?“ vertieften und konkretisierten die Teilnehmer das zuvor Gehörte. „Wir haben Mosaiksteinchen gesammelt, das Bild muss aber erst noch entstehen“, sagte Bischof Jung zum Abschluss. Er wünsche sich, dass sich in den Seelsorgeteams der Pastoralen Räume jeweils eine Person finde, um die Anwaltschaft für das Thema Sozialraumorientierung zu übernehmen. Er freue sich schon jetzt darauf, bei regionalen Veranstaltungen zum Thema mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, die vor Ort handeln.

Stichwort: Sozialraumorientierung

„Sozialraum“ ist keine feste, räumlich umschriebene Größe wie ein Landkreis oder eine Pfarrei, sondern der Raum, in dem Menschen ihre sozialen Bezüge wahrnehmen. Dazu zählen beispielsweise Schule, Vereine, Kita, Beratungsstelle, Bürgerbüro, Arbeitsstätten, Stadtteilcafé oder Nachbarschaft, die als Knotenpunkte des gesellschaftlichen Lebens den „Sozialraum“ von Menschen bilden. Sozialraumorientierung will Haltungen und Handlungsweisen vermitteln, die die Verbesserung von Lebensverhältnissen von Menschen in ihrem Sozialraum zum Ziel haben. Die Kirche als eine Akteurin im Sozialraum hat die Chance, mit vielen weiteren Akteuren Lebensverhältnisse gemeinsam mit den Menschen positiver zu gestalten. Dadurch kann sie ihren Auftrag neu entdecken und umsetzen, in der Orientierung am Willen der betreffenden Menschen „Licht für die Welt“ zu sein. Beim sozialraumorientierten Ansatz geht es im Bistum Würzburg um ein spürbar stärkeres Miteinander von Caritas und Seelsorge – und darum, über Kooperation und Unterstützung von Eigeninitiativen der Menschen gemeinsam mit weiteren Gruppen, Initiativen oder Institutionen zusammenzuarbeiten.

mh (POW)

(2021/0469; E-Mail voraus)

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